Eigentlich dachte ich, es sind nur zwei Scheiben Brot zum Frühstück. Es ist Donnerstag, der 15. Oktober 2020, früh am Morgen, draußen ist es noch diesig. Fast scheint es, der Tag will nicht so richtig in den Tritt kommen; es ist grau, kühl, feucht. Ungemütlich. Also gehe ich an den Kleiderschrank, nehme mir ein paar trockene, dicke Socken aus der Lade, ziehe mir einen Kapuzenpulli über. Schnell die erste Runde durch das Bad, hier ist es immer so schön warm, wie das Wasser aus der Leitung welches mein Gesicht benetzt. Dann ab in die Küche, erst ein Glas Wasser, dann einen Kaffee, heute mal zwei Scheiben Brot zum Frühstück, Quark und Erdbeerkonfitüre. Ab an den Tisch, Kopfhörer auf die Ohren, Rechner aufgeklappt, Random-play gedrückt. Die ersten Töne drücken sich in die Ohren. Es ist mal wieder ein Stück von Bach, ich erkenne ihn bereits an den ersten Tönen, Freude breitet sich zwischen meinen Ohren aus, immerhin gehört er zu meinen absoluten Lieblingskomponisten, die ersten Worte formen sich im Stück „Brich dem Hungrigen dein Brot“ „Ah, ein alttestamentarischer Text von Jesaja“ (Jes. 58,7) – denke ich noch bei mir. Ich sitze im Halbdunkel, zünde mir zwei Kerzen an und schaue auf den Teller der vor mir steht. Fast schon automatisch öffne ich gleichzeitig auf dem Rechner die ersten Nachrichtenportale. Vor meinen Augen erscheinen Bilder, Bilder aus einem Flüchtlingslager auf Lesbos. Gleichzeitig wechselt auf meinen Ohren der Chor auf eine neue Passage - „und die, so im Elend sind, führe ins Haus...“ Ich sehe meinen Teller mit der süßen Quarkschnitte und sehe die Bilder der im Wasser stehenden Zelte vor mir; ich sehe, wie Frauen und Männer mit spärlichen Werkzeugen versuchen, dass wenige was sie noch haben, wieder trocken zu legen. Mir wird auf einen Schlag warm, sehr warm sogar. „Das alles mitten in Europa, keine 2600 Km von mir entfernt. So etwas kann doch nicht möglich sein“ - denke ich mir.
Aber ich sehe es ja, es ist möglich.
Ich merke, wie ein sehr unangenehmes Gefühl in mir aufsteigt – Wut.
Ich versuche eigentlich immer, diesem Gefühl keine Nahrung zu bieten, manchmal frisst es sich aber in mich hinein. Also gebe ich dem Gefühl einen Moment und frage mich sehr deutlich: „Sascha, auf wen bist Du eigentlich jetzt wütend?“ Die Antwort kommt prompt.
Ich bin auf mich selber wütend.
Innerhalb weniger Momente wurde mir nämlich klar, in welch privilegierter Lebenssituation ich mich befinde. Ein festes Dach über dem Kopf, fließend warmes Wasser aus der Leitung zu jeder Zeit, einen gefüllten Kühlschrank, Licht, warme und trockene Klamotten. All das habe ich bislang immer für selbstverständlich gehalten. Die Bilder vor mir haben mich aber eines anderen belehrt. Nichts von dem was wir für selbstverständlich halten, ist es für andere Menschen. Wir hingegen nehmen unseren Wohlstand offensichtlich so selbstverständlich hin, dass wir ihn eigentlich auch nur ungern teilen möchten.
Wie ich darauf komme?
Nun, es fällt uns offensichtlich schon sehr lange sehr schwer zu begreifen, wie wir denen vor unseren Toren begegnen sollen/müssen. Zu lange schon schwillt eine bislang ergebnislose Diskussion über den Umgang mit „Geflüchteten“ durch unsere Gesellschaft. Ein Ergebnis haben wir bis heute nicht gefunden und so langsam vergiften Teile einer Haltung dazu auch unser Land. Unserer Verantwortung als Gesellschaft werden wir schon sehr lange nicht gerecht. Eine Lösung habe ich jetzt auch nicht parat. Aber vielleicht fangen wir einfach in der nächsten Messe, dem nächsten Gottesdienst mal mit einer Kleinigkeit an:
Wenn wir beim „Vater unser“ die Worte nicht nur in den Raum murmeln, weil sie „irgendwie dazugehören“, sondern sie wieder ganz bewusst aussprechen, besonders die Stelle „Unser tägliches Brot gib uns heute.“
Wenn wir dann im Anschluss dankbar auf unsere Lebenssituation schauen könnten, dann sehen wir vielleicht mehr und klarer.
Wenn wir wieder bewusst und gerecht teilen könnten, wenn wir Willens und guten Mutes sind, werden wir gemeinsam eine Lösung für das Elend der Menschen vor unseren Toren finden können.
Veränderungen beginnen immer mit kleinen Schritten.
Ach, wenn unser eigener Glaube nur viel größer wäre...
Foto © Sascha Nikolas Berger
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